Sam für die Seele
Astrid Kaufmann mit Lesehund Sam
Leseschwache Kinder erzählen einem Hund eine Geschichte – und verbessern sich rasant. Der Verein „Funkelstern“ sammelt dafür Spenden. – von Lisa Maucher (AZ)
Automatisch wird die Stimme eine Oktave höher, bei den Jungen und bei den Mädchen. Und auch die Erwachsenen sind entzückt. „Saaaaam“, rufen sie, während die Mundwinkel nach oben wandern und die Hand das weiche Fell sucht. Seit sechs Jahren kommt der Berner Sennenhund einmal die Woche in die Ludwig-Schwamb-Schule. Hier ist er der Held der Oberstadt. Geduldig lässt er eine Streicheleinheit nach der anderen über sich ergehen. Mittlerweile hat sich eine Menschentraube um ihn gebildet. Dabei ist er gar nicht zum Spaß hier. Seine Aufgabe ist, zuzuhören, während Kinder ihm vorlesen. Sie werden durch Sam sehr schnell besser im Lesen, legen vor ihm ihre Scham ab. Sie werden selbstsicherer.
Dass Sam zu dieser Aufgabe gekommen ist, dafür ist Astrid Kaufmann verantwortlich. Als sie vor Jahren mit ihrem Hund spazieren ging, traf sie auf eine schwedische Familie. Diese meinte, Sam erinnere sie an einen Lesehund in ihrem Heimatland. Am selben Abend las sich Kaufmann in das Thema ein und war begeistert. Vor sieben Jahren hat sie mit einer Freundin zusammen den gemeinnützigen Verein „Funkelstern“ gegründet.
Die Kinder lesen Sam aus Büchern vom Lesebaum-Verlag vor. Das sind Bücher speziell für Leseanfänger, mit schönen Bildern und einfachen Texten. Dafür können Sie spenden, liebe Leserin, lieber Leser, damit die Kinder nicht immer die gleichen Exemplare vorlesen müssen.
Das Motto des Vereins Funkelstern ist: Jedem Kind soll ein Stern leuchten. Die Ehrenamtlichen haben es sich zur Aufgabe gemacht, Kindern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen. Mit unterschiedlichen Projekten helfen sie dabei, Kinder zu stärken, ihnen Werte mit auf den Weg zu geben und respektvoll sich selbst und anderen gegenüber zu sein. Auch Tiere können dabei helfen.
Sam betritt mit Astrid Kaufmann eine dritte Klasse der Ludwig-Schwamb-Schule. Sofort stehen die Kinder auf, sagen im Chor „Hallooo Saaaam, hallooo Frauuu Kauuufmaaan“. Nun beginnt der angenehme Teil des Tages: „Sams Muntermacher“. Die Kinder sollen sich selbst eine kleine Massage am Kopf, an den Schultern, an den Armen, Beinen und Hände geben. Astrid Kaufmann macht vor, die Kinder machen nach. Nach ein paar Minuten ist der Kreislauf wieder oben, der Geist aber entspannt.
Das erste Kind darf jetzt mit Sam und Kaufmann in die Schulbücherei, wo in einer Ecke große Kissen und Decken sind, kuschelig, abgeschieden. Angelina darf mitkommen, für zehn Minuten mit Sam, vorlesen. Der legt sich, erstmal in der Bücherei angekommen, hin. Seine großen braunen Kulleraugen ruhen auf Angelina. Als sie beginnt zu lesen, wendet er den Blick ab, schließt die Augen und hört zu. Angelina liest schon sehr flüssig, zu den leseschwachen Kindern gehört sie nicht. „Wenn jemand wirklich gut liest, schläft Sam manchmal ein. Er hat auch schon geschnarcht“, erzählt Kaufmann und lacht. Wenn die Drittklässlerin ein Wort falsch liest, korrigiert Astrid Kaufmann sie sanft. Die „Funkelstern“-Vorsitzende hat ein wunderbares Händchen für Kinder und findet schöne Worte, um sie zu bestärken. Als Angelina fertig mit dem Buch ist, sagt Kaufmann: „Das hast du ganz, ganz toll gemacht. Du kannst stolz auf dich sein.“
Jeder Schüler hat einen „Lesepass“. Darin hält er fest, welche Bücher schon gelesen wurden. Nach jedem Lesehund-Termin schreibt Kaufmann einen kleinen Kommentar in den Pass. Sam unterschreibt symbolisch, indem Kaufmann einen Pfoten-Stempel auf das Papier drückt. Angelina kann jetzt wieder zurück in die Klasse. Der Nächste für Sam, bitte.
So ein Tag an einer Schule ist für den Hund ein Kraftakt. So viele Hände, die streicheln wollen, so viel Aufmerksamkeit, so viele Stimmen, Eindrucke. Wenn Sams Arbeit getan ist, darf er nach Hause und sich nur noch ausruhen, mit einem Knochen als Belohnung, und schlafen.
Das Wunderbare an Sam sei, sagt Kaufmann, dass er jedes Kind genau so nehme, wie es sei . „Da ist dann eine ganz tiefe Liebe, die von niemandem etwas verlangt“, erklärt sie. Die Kinder würden sich Mühe beim Lesen geben, und es gebe keines, das nicht vor Sam lesen wolle. Und so wird die Botschaft verinnerlicht: Lesen ist toll.